In einer Welt, in der die IT sich ständig neu erfindet – zumindest vorgibt, das zu tun – ist es erstaunlich, wie lange sich bestimmte Platzhirsche halten. Datenbanklösungen wie Oracle oder Microsoft SQL Server sind in vielen Unternehmen immer noch Standard. Nicht, weil sie technologisch alternativlos wären, sondern weil sie es immer schon so gemacht haben. Und genau das ist das Problem.

PostgreSQL ist eine der meistunterschätzten Technologien unserer Branche. Open Source, frei verfügbar, technisch hochentwickelt – und dennoch von vielen Entscheidungsträger*innen entweder ignoriert oder stiefmütterlich behandelt. Warum eigentlich?

Mythos Enterprise-Qualität: Kommerzielle Datenbanken sind nicht automatisch besser

Es gibt zwei Hauptargumente, mit denen kommerzielle Datenbanken traditionell werben: Stabilität und Support. Beides ist wichtig – keine Frage. Aber wer glaubt, dass nur proprietäre Software diese Anforderungen erfüllt, hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht ernsthaft mit PostgreSQL beschäftigt.

PostgreSQL ist nicht irgendein Open-Source-Projekt, das von ein paar Idealist*innen am Leben gehalten wird. Es wird von einer aktiven, globalen Community weiterentwickelt – darunter auch viele Unternehmen, die damit ihr Geld verdienen. Die Release-Zyklen sind planbar, der Code ist transparent und das Bug-Tracking öffentlich. Wer will, kann sogar selbst Hand anlegen. Oder andere damit beauftragen. Die Optionen sind vielfältiger als bei jeder kommerziellen Lösung – und sie sind nicht an einen einzelnen Anbieter gekettet.

Feature-Parität? Längst erreicht – und oft übertroffen

Die Vorstellung, dass PostgreSQL ein „MySQL für Fortgeschrittene“ ist, hält sich hartnäckig. Wer sich aber ernsthaft mit dem Funktionsumfang auseinandersetzt, merkt schnell: PostgreSQL kann nicht nur mithalten – es übertrifft viele seiner kommerziellen Pendants sogar.

  • ACID-Compliance? Selbstverständlich.
  • Komplexe Transaktionen? Kein Problem.
  • Stored Procedures, Triggers, Window Functions? Alles da.
  • Geodaten, JSON, Volltextsuche, Materialized Views? Ebenfalls.
  • Erweiterbarkeit durch Extensions wie PostGIS oder TimescaleDB? Ja. Und das ist kein nettes Add-on, sondern ernstzunehmende, produktionsreife Technologie.

Dazu kommt: PostgreSQL entwickelt sich kontinuierlich weiter – ohne künstliche Produktzyklen oder Verkaufsdruck. Die Features werden eingebaut, weil sie sinnvoll sind. Nicht, weil sie sich gut in einem Release-Marketing machen.

Kostenwahrheit statt Lizenzdschungel

Kommerzielle Datenbanken kosten nicht nur Geld – sie kosten auch Nerven. Lizenzmodelle, die so kompliziert sind, dass man Jurist*in mit IT-Schwerpunkt sein müsste, um sie zu durchschauen. Unerwartete Kosten bei Lastspitzen. Audit-Angst. Und ständig dieses Gefühl, in einem goldenen Käfig zu sitzen: bequem, aber unflexibel.

PostgreSQL ist nicht gratis, weil es nichts wert ist – sondern weil es nach einem anderen Prinzip funktioniert. Die Entwicklung wird kollektiv getragen, die Nutzung ist frei. Das bedeutet: volle Kontrolle über Betrieb und Weiterentwicklung, keine Abhängigkeit von Vendoren, keine Lizenzkosten – weder jetzt noch in der Zukunft. Und: volle Kostenkontrolle. Gerade in Zeiten, in denen Budgets schrumpfen, ist das ein Faktor, der oft unterschätzt wird.

Open Source als Haltung – nicht als Sparmaßnahme

Es geht nicht nur ums Geld. Wer sich für PostgreSQL entscheidet, trifft auch eine politische Entscheidung: gegen Monokultur, gegen Intransparenz, gegen Machtkonzentration. Und für offene Standards, für technische Souveränität, für Nachhaltigkeit. Denn PostgreSQL ist nicht nur ein Werkzeug – es ist Teil eines größeren Ökosystems, das auf Kooperation statt Ausbeutung setzt.

Bewusste Entscheidungen zu treffen, ist immer eine gute Idee – ob beim Einkauf, beim Reisen oder bei der Wahl des Energieversorgers. Es ist höchste Zeit, auch in der IT damit anzufangen. Proprietäre Software ist keine Naturgewalt. Sie ist eine Gewohnheit. Und Gewohnheiten kann man ändern.

PostgreSQL: Mehr als eine Alternative

Wer heute noch automatisch zu Oracle oder Microsoft SQL Server greift, sollte sich fragen, warum. Aus technischer Sicht gibt es kaum Gründe, PostgreSQL nicht zu nutzen. Die Argumente pro Kommerz sind längst entzaubert – und was bleibt, ist oft ein Bauchgefühl. Das kann man haben. Aber man sollte es nicht mit Rationalität verwechseln.

PostgreSQL ist leistungsfähig, stabil, erweiterbar, sicher und wirtschaftlich. Vor allem aber ist es unabhängig. Und genau das macht es so wertvoll – in einer Branche, die allzu oft auf Bequemlichkeit statt auf Verantwortung setzt.